Kevin Coyne, 16.12.1984, Loft
© Roland Owsnitzki / Votos
Kevin Coyne, 16.12.1984, Loft
© Roland Owsnitzki / Votos
Also?
Ich weiß, dass ich Coyne damals gut fand. Aber warum? Vielleicht weil er Sozialarbeiter war. Ich hatte in dieser Zeit gerade meine Ausbildung als Kindergärtner beendet und empfand deshalb wohl eine Art von Solidarität. Das Konzert fand an meinem Geburtstag im Dezember statt, eine Freundin hatte mir die Konzertkarte geschenkt.
Und Du hattest die Kamera dabei.
Wie gesagt: Die war immer dabei! Ich fand, jetzt beim Sichten der Abzüge, die ich im Keller gelagert habe, das Foto mit der Hand und der Zigarette echt gut.
Beim anderen Bild fallen mir die dreckigen Fingernägel auf.
Die sagen viel! Es gab nur einen Gitarristen, der dreckigere Fingernägel hatte, irgendwann in den zehner Jahren – muss ich suchen.
Ich war gestern im Kulturforum in der Gemäldegalerie in der Frans-Hals-Ausstellung. Hals hat im 17. Jahrhundert neben der Haarlemer Elite auch soziale Außenseiter und Musiker portraitiert – an letztere erinnert mich die Coyne-Aufnahme. Dein Foto zeigt aber auch – ›aber‹, weil Hals farbig malte – wo die Anziehungskraft einer schwarz-weiß-Aufnahme liegt, in scharfen Kontrasten und Schatten.
Farbe ging damals nicht. Fragten die Zeitungen nicht nach. Und außerdem konnte ich Farbfilme nicht selber entwickeln.
Du entwickeltest die Filme selber?
Ja, klar. Den belichteten Film entwickelte ich in meiner Dunkelkammer, aus dem Negativ entstanden dann die Abzüge, die ich abends zum Beispiel zur taz brachte und dort in den Briefkasten warf – auch wenn ich keinen Auftrag hatte. Was ich jetzt hier für Dich gescannt habe sind die Negative. Bei der taz hatte ich immer Probleme mit der Bildredaktion, weil ihnen meine Abzüge zu dreckig waren. Ich war ›der dreckige Fotograf‹, ein Autodidakt, ich konnte es auch wirklich nicht anders. Wer sich in der taz für mich eingesetzt hat, das war und ist, bis heute, die Kultur-, nicht die Bildredaktion.
Vom Rest des Körpers isolierte Füße oder Hände – ich möchte das als eine Art Spezialität von Dir bezeichnen.
Das kam erst mit der Zeit. Damals achtete ich hauptsächlich auf den Exzess, der sich für mich immer im Gesicht der auftretenden Personen abzeichnete. Ich achtete in jedem Fall nicht bewusst auf sowas wie Hände. Auf Füße schon, immer! Mein Stil bildete sich nach und nach hinaus: Mich interessierte weniger das perfekte Bild, die perfekte Schärfe und Belichtung, sondern viel mehr der Ausdruck, der, ich wiederhole mich, Exzess. Ich lasse mittlerweile ganz viel an mir vorüberziehen, ich nehme längst nicht mehr jede Gelegenheit war, ein ›gutes‹ Foto zu schießen, darauf verzichte ich. Ich warte stattdessen ab, bis genau dieser eine Moment kommt, der mich ergreift.
1.11.2024