Nick Cave, 1984, Potsdamer Platz
© Roland Owsnitzki / Votos

Nick Cave, 1984, Potsdamer Platz
© Roland Owsnitzki / Votos

Erzähl’!

Wir Flaneure sind gerne über diese Brache gelaufen, quer über dieses Dreieck, als Abkürzung auf dem Weg nach Kreuzberg. Wir sind überhaupt damals alle sehr viel gelaufen. Nach Abenden im Loft am Nollendorfplatz bin ich durch den Tiergarten bis nach Reinickendorf gelaufen.

Nachtbusse gab es keine?

Doch, es gab einen berühmt-berüchtigten Nachtbus, der ist von Kreuzberg in Richtung Kurfürstendamm gefahren, aber ich hatte einfach Lust auf Laufen. Ich hatte auch die Zeit dazu! Ich kann mich noch gut an laue Sommernächte und zwitschernde Lärchen im Tiergarten erinnern – über Moabit und den Wedding nach Hause, eineinhalb Stunden Laufen.

… mit den Fotos im Kopf, die Du auf den Konzerten geschossen hattest.

Oft waren es zu viele Bilder, die ich im Kopf hatte, und vielleicht auch das ein oder andere Bier, das zu viel gewesen war, auch deswegen taten die Spaziergänge gut.

Nick Cave hast Du tagsüber fotografiert, im Jahr 1984, es könnte im Oktober gewesen sein, sagtest Du.

Richtig.

Eine Kamera hattest Du immer dabei?

Immer. Die liegt noch oben auf dem Boden, völlig auseinander genommen.  Ich meine, dass es eine Canon A1 war, eine Kleinbild-Spiegelreflexkamera. Sie verfügte als erste Kamera überhaupt über eine Vollautomatik, ein Mikroprozessor bestimmte Blendenwert und Verschlusszeit – LEDs zeigten diese Parameter dann im Sucher an.

Welche Filme hast Du damals benutzt?

Ilford FP4 und HP5. Niemals Kodak. Wenn ich knapp bei Kasse war, bin ich rüber in den Osten, um mir ORWO-Filme zu besorgen. Cave lief auf mich zu, und ich traute mich nicht, ihn anzusprechen. Mein Englisch war so schlecht und seine Musik so wild! Er hatte damals die Bad Seeds gegründet, ich kannte ihn aber schon durch ganz böse Birthday-Party-Bootlegs, die ich auf Kassette besaß. Er selber schien mir auch eine harte Person zu sein, ein Punk.

Er geht an Dir vorbei, und dann sieht es so aus, als ob Du Dich ins Gebüsch geschlagen und abgedrückt hast.

Fast! Ich habe mich umgedreht, schnell scharf gestellt und ruckizucki das Foto aufgenommen. Eigentlich habe ich ihn als erstes an den Schuhen erkannt. Diese Schuhe trug in Berlin sonst niemand. Ich habe das Foto mal Nico gezeigt.

Päffgen? Der Sängerin Nico – die von Velvet Underground?

Nein! Nikko! Weidemann. Der Berliner Musiker.

Nikko, kenne ich doch!

Eben. Der bestätigte meine Vermutung, dass Nick Cave wohl auf dem Weg zum Hansa Studio war.

Drei Alben haben die Bad Seeds dort aufgenommen – das erste erschien 1985, kann also gut hinkommen! Das Foto zeigt den Blick eines Voyeurs, eines Paparazzo.

Voyeur ist gut. So erklärt sich nämlich auch dieses Wort, das ich in Zusammenhang mit meinen Fotos verwende, »Votos«.

Eine Art Künstlername oder Firmenname, so habe ich das immer verstanden – Fotos, nur mit V geschrieben.

Nein! »Vo« von Voyeurismus und »Vo« von Votum – mich mit meiner Stimme melden, einbringen. Das bedeutet für mich das Wort.

23.10.2024