Swans, 21.7.1984, Loft
© Roland Owsnitzki / Votos
Swans, 21.7.1984, Loft
© Roland Owsnitzki / Votos
Michael Giras Extase – ging sie Dir direkt ins Mark?
Ist lange nicht mehr passiert. Aber ja: ging sie. In solchen Momenten fand eine direkte Übertragung statt, ich wurde eins mit Gira, so verrückt das klingt. Eine Art von Ekstase stellte sich außerdem ein, weil ich blitzschnell aufziehen, spannen, und neu fokussieren musste, es gab damals keine Motoren, die den Film weitertransportierten. Alles musste sehr schnell passieren.
Auf dem zweiten Foto sehen wir einen ganz anderen Gira.
Er ruht, er holt Luft und schöpft neue Kraft und bereitet sich so auf den nächsten Exzess vor, während die Band weiterspielt. Diese Momente, das können auch Phasen des Genießens sein, suche ich, denn sie führen oft zu sehr schönen Fotos.
Sein entblößter Oberkörper, wie findest Du den?
Habe ich mir noch nie drüber Gedanken gemacht. Jetzt würde ich sagen: Er löst damit die Distanz zum Publikum noch mehr auf. Die Nacktheit erscheint mir in gewisser Weise stimmig, sie passt zur Musik und Giras Performance.
Ich habe Gira und seine Band, Swans, ein Mal im Berghain gesehen, Ende der 2010er Jahre. Das war sehr laut, sehr lärmig, sehr krass. Nichts für mich.
Ich kannte solch eine Art von Musik nicht. Gira schrie nur. Das war eigentlich keine Musik sondern reiner Ausdruck. Diesen Krach musstest Du abkönnen. Irgendetwas hinterlässt diese Musik in jedem Fall! Ich habe Gira im letzten Jahr solo gesehen. Da hat er das, was er sonst mit der Stimme gemacht hat, auf die Gitarre übertragen. Es war so düster! Ich weiß nicht, aus welcher Hölle er da gerade kam. Nach drei Songs musste ich gehen, ich konnte mich nicht drauf einlassen.
Wir müssen jetzt mal über Mikrofone im Bild sprechen.
Damals wusste ich es nicht besser, heute mache ich eigentlich keine Fotos mehr, auf denen ein Mikrofon zu sehen ist. Wenn das Mikro mehr als ein Drittel des Bildes einnimmt, kann man das Bild eigentlich nicht zeigen.
Viele Deiner Fotos hast Du im Loft aufgenommen. Was war das für ein Ort?
Im Loft fanden, von Monika Döring veranstaltet, die für mich und meine Szene – eine Szene, die sich für das, was nach Punk kam, für neue Musik, für Avantgarde interessierte – wichtigsten Konzerte statt. Im Vorprogramm spielten junge, neue Bands aus Berlin, was die Abende zusätzlich interessant machte. Das Loft war eine Nebenbühne des größeren Metropol, ein Stockwerk unter ihm, am Nollendorfplatz in Schöneberg. Andere gute Läden, Läden wie das Café Swing, das Risiko oder der Dschungel, waren gegenüber beziehungsweise gleich um die Ecke. Das Loft befand sich im ersten Stock des Gebäudes und konnte über eine Außentreppe erreicht werden. Der Raum war rechteckig und ging eher in die Breite als in die Tiefe. Hinten beim Mixer saßen Monika und Heiner Döring und ihre Crew. Anfänglich sind meine Clique und ich immer umsonst reingekommen, indem wir Stempel abgedrückt oder nachgemalt haben. Irgendwann sind wir aufgeflogen. Monika sagte dann zu mir: ›Du darfst immer rein. Mach Deine Kunst.‹ Sie wusste, dass ich mich darum bemühte, die Fotos zu veröffentlichen, sie wusste, dass ich genau so musikbegeistert wie sie war. Ich bin ihr sehr dankbar.
Gute Orte bedingen gute Fotos?
Nicht unbedingt. Aber an guten Orten spielen meistens gute Bands, was einfach mehr Spaß bringt. Im Loft hatte ich aber auch oft Angst. Meine Maxime: Gute Bilder machst Du nur in der ersten Reihe. Ich musste also immer nach vorne. Das Publikum drückte mich an die Bühne. Ab und an beschimpfte es mich. Ich fiel manchmal hin und verlor die Kamera. Skinheads tanzten hinter mir Pogo, und ich wusste nicht, ob die Schnürbänder in ihren Springerstiefeln weiß oder rot waren. Kurz gesagt: Im Loft wurde ich gezwungen, meine Grenzen zu überschreiten. Sprechen wir nochmal wann anders drüber. Über: das Leid des Fotografen.
8.11.2024