Archie Shepp, 21.9.1983
© Roland Owsnitzki / Votos
Free Jazz?
Bei dieser Musik herrscht für mich immer Distanz. Free Jazz muss ich intellektuell nachvollziehen, ich kann ihn vorne an der Bühne nicht erspüren, ich werde physisch nicht bedroht, weder von der Menge hinter mir noch von einem Sänger, der sich zu mir runterbeugt. Bedroht werden hier aber meine Hörgewohnheiten. Das macht Free Jazz so interessant. Ich kaufte mir damals eine Coltrane-Platte – die, die am besten aussah – und versucht nachzuvollziehen, warum da jetzt alle drüber sprachen. Irgendwann ging es, irgendwann konnte ich diese Musik hören, und sie fasziniert mich bis heute. Über den Saxofonisten Archie Shepp, der auch mit Coltrane zusammenspielte, links im Bild, nahm ich auf einmal auch Politik – Black Panther, Bekämpfung von Rassismus, die allgemeine Lage der Schwarzen in den USA – wahr. Shepps Platte »Pitchin Can« besaß ich. Darauf befand sich das Stück »Uhuru (Dawn of Freedom)« – auf Swahili bedeutet Uhuru Freiheit. Und mir wurden die Beziehungen zum Blues, der ja auch schwarze Musik ist, klarer.
Wen sehen wir da noch im Bild?
Im Arztkittel? Lester Bowie.
Das Tragen einer Art von Arbeitskleidung erinnert mich an unserem gemeinsamen Freund Andre, der mit seiner damaligen Band mal bei Steve Albini ein Album aufnahm. Albini trug im Studio immer einen Blaumann.
Ende der Sechziger hatte Bowie in Chicago das Art Ensemble of Chicago mitbegründet.
Dass wir auf dem Foto die ganze Band sehen ist eher ungewöhnlich für Deinen Stil, oder?
Ich glaube mir war es wichtig, Shepp und Bowie auf einem Foto gemeinsam festzuhalten. Ansonsten gab es wie immer technische Aspekte, die mich zwangsläufig beeinflusst beziehungsweise eingeschränkt haben. Mein weitestes Weitwinkelobjektiv hatte eine Brennweite von 35mm, heute sind es 14 oder 20.
Wie weit warst Du hier also von der Bühne entfernt? Fünf Meter?
Ach nein! Ich stand schon ganz vorne am Bühnenrand. Aber heute könnte ich mit einem Weitwinkelobjektiv auf jeder Seite noch vier oder fünf weitere Musiker:innen mitnehmen. Ich fotografiere hier formatfüllend, das entsprach meinem damaligen Dogma. Heute wiederum schneide ich mir die Sachen so zurecht, dass sie passen.
Als Fotograf bist Du auf Licht angewiesen, um das sich andere Menschen kümmern, zum Beispiel das Personal des Clubs.
Bis in die Neunziger hinein waren Filme nicht sehr lichtempfindlich, 6400 ASA war das höchste der Gefühle, die Aufnahmen sahen somit sehr grobkörnig aus. Hier habe ich tatsächlich mit dem Licht gearbeitet, das mir der Ort, die Bühne, bot. Ungewöhnlich für mich, da mich sonst das Licht nie interessiert hat.
Nie? Warum?
Weil ich immer blitzte. Aber je weiter wir in der Zeit voranschreiten, desto weniger durfte ich blitzen, denn die Musiker:innen und ihre Managements verbaten sich das. »Three songs, no flash« – heute darf ich bei großen Bands also genau drei Stücke lang ohne Blitz fotografieren. Licht spielt heute für mich wieder keine Rolle, weil ich nun mit über 20.000 ASA arbeiten kann.
Du hast hier ohne Stativ fotografiert?
Ich war sehr gut – ich konnte eine Viertel- oder Achtelsekunde aus der Hand halten. Kein Problem, wenn sich die Musiker nicht bewegen. Bowie ist überstrahlt, Shepp bekommt Licht ins Gesicht, in der Dunkelkammer habe ich alles ein bisschen abgewedelt.
Abge-was?
Abgewedelt. Ich besaß einen Stab mit einer schwarzer Pappscheibe an einem der Enden. Mit dem wedelte ich über das Positiv, um die Belichtung zu reduzieren.
Verstehe. Wo war das Quartier Latin?
In der Potsdamer. Ist ein eigenes Kapitel.
Nur einen Satz!
Im Foyer saß immer ein Papagei.
14.11.2024