Was war Rossbreiten?

Heute würde man vielleicht sagen: ein Zine. Rossbreiten war ein kopiertes Kunst-Magazin, in dem sich Beiträge von DDR- und West-Berliner Künstler:innen versammelten, unter anderem auch von mir. Kleinste Auflagen, unter der Hand vertrieben. Sascha Anderson hat dort auch mitgemacht.

Der Schriftsteller, der eine wichtige Person in der alternativen Szene der Achtziger in Ost-Berlin war und der später als inoffizieller Stasi-Mitarbeiter enttarnt wurde?

Genau der.

Den kanntest Du?

Ja, ich war öfter Zuhause bei ihm.

Gibt es eine Stasi-Akte über Dich?

Habe ich nie nachgeguckt. Über dieses Thema müssen wir später nochmal sprechen. Es gab da diese Veranstaltung, Intermedia I, in Coswig bei Dresden, im Juni 1985. Davon erzähle ich Dir noch. Wie ich fast im Gefängnis gelandet wäre, wegen meiner Naivität.

Zurück zu den Rossbreiten!

Solmeta hieß der Herausgeber – der Künstler Klaus Nixdorf! Solmeta, atemlos, atemlos, solmeta, verstehst Du? Ich habe ihn in der Berufsschule kennengelernt, als wir beide eine Industriekaufmannlehre absolvierten. Wir treffen uns heute noch – ein, zwei Mal im Jahr –, gehen in Ausstellungen und unterhalten uns.

Zeig mir mal eine Ausgabe!

Bei ebay kostet die erste Ausgabe 500 Euro! Also, wenn sie denn jemand haben will. Du, es tut mir leid, aber ich finde die Hefte gerade nicht. Vor kurzem hatte ich sie noch in der Hand, und dann habe ich sie irgendwo hin geräumt. Furchtbar. Vielleicht im Keller!

Erzähl’ mir nochmal mehr über den Austausch zwischen Ost und West.

Wir sind ab und an rüber und haben Sachen zum Tauschen mitgenommen. Zum Beispiel die Rossbreiten. Sascha Anderson hatte Mittel und Wege, Sachen von A nach B und umgekehrt zu transportieren. Er redete immer von »Diplomatengepäck«.

Was habt Ihr getauscht? Also, was wolltet Ihr aus Ost-Berlin haben?

Einen Ledermantel. Und im Gegenzug bekam dann Thomas – Thomas Florschuetz, heute ein berühmter Fotograf – ein Blitzgerät von Metz. Florschuetz portraitierte auch Freund:innen von mir, die dafür 400 West-Mark zahlten. Ost-Keramik war sehr begehrt, Cornelia Schleime wirkte da mit. Porzellan gegen Devisen.

Und der künstlerische Austausch?

Bei Anderson Zuhause gab es Lesungen, auf denen ich aber nie etwas verstand. Mit Wolfang Scheffler trafen wir uns, ein Politologe und Historiker. Florschuetz wohnte in der Schönhauser in einem besetzten  Haus, wobei man ›besetzt‹ nicht sagen durfte, weil es das offiziell nicht gab, ›besetzte‹ Häuser. Du zogst ein, bezahltest den Strom und brachtest Deinen Namen an Haustür und Briefkasten an, fertig. Um die Ecke gab es ein Cafe – »Paris« hieß es, glaube ich. Da waren wir oft. Wir wurden vom Kellner platziert: für mich als Wessi etwas völlig neues. Wir setzen uns schließlich immer genau da hin, wo wir wollten, ohne zu fragen! Zum Frühstück gab’s Kaffee mit Cognac. Sehr aufregend, diese Zeit – 1986, 1987, 1988.

Seid Ihr in Ost-Berlin auf Konzerte gegangen?

Klar! Auf Punk-Konzerte. Sascha immer voran, wir im Schlepptau. Wenn er mit einer langen Schlange konfrontiert wurde, ging er einfach mit uns an der Seite vorbei. Wir kamen immer und überall rein. Überheblich wie ich war, dachte ich: »Das ist Ost-Punk, hier musst Du nicht fotografieren.«

Aber hast Du Anderson mal fotografiert?

In seiner Wohnung. Muss ich nachgucken. Ich war eigentlich doch sehr schüchtern und letztlich kein richtiger Teil dieser Gruppe, auch deswegen hält sich die Anzahl der Aufnahmen aus dieser Zeit leider sehr in Grenzen.

22.10.2025